Samstag, 24. Januar 2009
 
Kritik der Gewalt PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Attac   
Dienstag, 12. Juni 2007

Nach den Protesttagen von Rostock und Heiligendamm zeiht Attac Österreich eine kritische, teilweise selbstkritische Bilanz. Man müsse vermeiden, daß die Gewalt den Mächtigen in die Hände spiele und von den Inhalten ablenke.
 

Liebe Attacs!

Die Proteste gegen die G8 in Rostock und Heiligendamm waren für die gesamte globalisierungskritische Bewegung und für Attac von großer Bedeutung. Seit mehr als einem Jahr wurden die Demonstrationen und Gegenveranstaltungen intensiv vorbereitet. Ein extrem breites Bündnis war an der Planung und Mobilisierung der Proteste beteiligt. Die 212 in die Organisation eingebundenen Gruppen waren sich einig: Die Proteste sollen friedlich sein.

Insgesamt war der G8 Protest aus unserer Sicht erfolgreich. 80.000 Menschen haben an der Demonstration am 2. Juni teilgenommen, mehr als 10.000 an den friedlichen Blockaden und mehrere Tausend an den verschiedenen anderen Mobilisierungen, sei es kleiner Demonstrationen rund um spezifische Themen wie Migration oder Militarisierung, oder dem Alternativgipfel.

Mit den Ausschreitungen am Ende der Demonstration am 2. Juni, an der eine kleine Minderheit von DemonstrantInnen beteiligt war, hat dann zum einen in der Berichterstattung und zum anderen innerhalb des Bündnisses das Thema Gewalt über weite Strecken die Diskussion dominiert. Trotz einer teilweise differenzierten Berichterstattung vieler Medien wurde vieles verzerrt dargestellt ("bürgerkriegsähnliche Zustände", "Deutschland brennt"...). Innerhalb der Bewegung wurden durch Pauschalbegriffe Feindbilder ("die Autonomen", "die Reformisten", "der schwarze Block", ...) aufgebaut.

Das breite Bündnis wurde dabei in seiner Solidarität und seinem Zusammenhalt auf eine harte Probe gestellt. Es gab zahlreiche Diskussionen, innerhalb der jeweiligen Organisationen, zwischen den Organisationen, in den Camps. Diese Diskussionen drehten sich nicht nur um die Frage der Gewalt, sondern auch darum, wie die geplanten Proteste weiter durchgeführt werden, wie deren friedlicher Charakter sichergestellt werden, wie man die mediale und öffentliche Debatte von der Gewalt weg wieder hin zur inhaltlichen Kritik führen kann.

Im Laufe der Protestwoche kam es immer wieder zu einem harten und unangebrachten Vorgehen der Polizei gegen friedliche Proteste. Vielfach wurden die demokratischen Grundrechte außer Kraft gesetzt (Versammlungsfreiheit aufgehoben, Sternmarsch verboten, Knüppel und Wasserwerfer gegen friedliche DemonstrantInnen und BlockiererInnen, Under-Cover-Agenten, Provokationen unterschiedlichster Art, ...).

Gewalttätige Ausschreitungen sind das, was den GegnerInnen der G8-Proteste am meisten nützt. Die Darstellung als "Chaos" und "Gewalttage" legitimiert den Polizeieinsatz (und oft nachfolgend die Verschärfung von Gesetzen, die die demokratischen Grundrechte schrittweise aushöhlen) und lenkt von inhaltlicher Kritik ab. Weiters ist es dann umso leichter möglich, nach dem "Chaos" wieder zum Tagesgeschäft überzugehen. Wenn sich dann die Bewegung durch interne Konflikte selbst aufreibt, ist das Werk vollendet. Denn aus der Sicht der politisch Verantwortlichen, die aktiv eine neoliberale Politik im Interesse der Konzerne und einer kleinen Minderheit vorantreiben, ist eine immer größer werdende Bewegung wie z.B. das breite Bündnis, das die G8 Proteste in Rostock organisiert hat, bedrohlich; ein Auseinanderfallen aus ihrer Sicht daher wünschenswert.

Friedliche, kreative Proteste, die radikale Kritik an den bestehenden Verhältnissen zum Ausdruck bringen und Alternativen vorschlagen, geraten so in den Hintergrund. Wir glauben, dass die Ausweitung der Bewegung dadurch massiv gefährdet ist, weil sehr viele Menschen nicht an Demonstrationen teilnehmen, wenn sie befürchten müssen, dass diese mit Gewalt verbunden sind und sie möglicherweise verletzt werden.

Wir möchten daher Folgendes zum Ausdruck bringen:

1. Unser Ziel ist es, Widerstand so zu gestalten, dass sich noch viel mehr Menschen daran beteiligen als bisher. Hunderttausende Menschen jeden Alters würden ein ganz anderes Zeichen setzen.

2. Wir lehnen Gewalt als Mittel des Protests, bei dem bewusst Menschen in Gefahr gebracht und verletzt werden (können), ab. Wir stehen für friedliche, kreative und entschlossene Proteste und unternehmen auch alles, um dies zu gewährleisten. Die Konfrontationen brauchen nicht erst herbeigeführt zu werden, sie existieren bereits weltweit und darauf wollen wir - friedlich - die Aufmerksamkeit lenken.

3. Wir plädieren für Unterscheidungsvermögen in der Gewaltfrage. Die Frage struktureller Gewalt wird in der Diskussion derzeit weitgehend ausgeblendet. Es ist gewalttätig, politische Regeln festzulegen, die dazu führen, dass Menschen entrechtet werden, verarmen oder verhungern. Auch darauf wollen wir aufmerksam machen.

4. Wir werden uns von der Berechtigung und Notwendigkeit der Kritik sowie der Veränderung der bestehenden unterdrückenden Verhältnisse nicht abbringen lassen. Dies ist weiterhin unser zentrales Anliegen, dem wir weiter Ausdruck verleihen werden.

Wir kritisieren weiters scharf, dass die friedlichen Proteste vielfach unter Polizeirepressionen stattgefunden haben.

Um den gemeinsamen Weg nach den Vorkommnissen am und rund um den G8-Gipfel weiter zu gehen, bedarf es innerhalb von Attac und innerhalb der Bewegung einer (selbst-)kritischen Diskussion verschiedenster Themen. Wir beanspruchen dabei nicht, keine Fehler in diesem Zusammenhang gemacht zu haben und nehmen die kritischen Rückmeldungen, die wir in den letzten Tagen von verschiedensten Menschen und Gruppen dazu erhalten haben ernst. Wir möchten uns dieser Herausforderung stellen und einen Diskussionsprozess beginnen, ohne dabei unsere gemeinsame Vision zu vergessen: "Eine andere Welt ist möglich!"

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